fussball-ascheplatz

Auf Schlacke und wie schließlich der Kunstrasen in unser Zuhause einzog.

Noch fünf Minuten bis zum Anpfiff. Unser Trainer blättert durch die ramponierte Passmappe und sagt dem Schiedsrichter die Namen der Startelf an. Mein Aufruf mit der Rückennummer Sechs erfolgt unter der Pass-Nummer mit den Endziffern 452.

Gelernt habe ich das Bolzen mit den Jungs auf einem Spielplatz. Das kleine Metalltor stand auf einem abschüssigen Rasenrest. Schlaglöcher oder ein Tritt gegen das Schienbein stoppten hier das ein oder andere Dribbling. Genau mein Ding. Eines morgens legte mir mein Vater dann die Zeitung auf den Frühstückstisch und zeigte auf die Tabelle der Mädchenkreisliga. Ich durfte zwischen zwei Vereinen auswählen, die nur wenige Kilometer von unserem Zuhause entfernt lagen. Es waren der Tabellenletzte mit 0:110 Toren und der Tabellenvorletzte mit 2:71 Toren. Wohl gemerkt, wir befanden uns noch in der Hinrunde.

Tabellenschlusslicht und Iod-Tinktur

Ich besuchte schließlich das Training beim Tabellenschlusslicht. Nicht, dass ich hier Potential sah. Nein, ein Nachbar spielte ebenfalls in diesem Verein Fußball und nahm mich mit zum Training. Ich erinnere mich an die kleine Imke, die mich sofort mit einem herzlichen Redeschwall überhäufte und den Trainer, der mir direkt nach dem ersten Training die Vereinsanmeldung in die Hand drückte.

Der Fußball, das Team hatte mich sofort gepackt. Mit einigen Mitspielerinnen aus diesem ersten Training spiele ich nun seit über fünfundzwanzig Jahren Fußball. Auf dem Platz machten unsere Knie und Ellbogen dann gelegentlich Bekanntschaft mit belasteter roter Erde. Jahrelang spielten wir auf Schlacke. Das Grätschen haben wir hier nie gelernt. Sehr wohl aber wie Iod-Tinktur in einer Wunde brennt.


Wir haben auf dem Platz zusammen gewonnen und verloren, vor Freude geschrien und aus Enttäuschung Tränen verdrückt. Im Leben neben dem Platz 18. Geburtstage gefeiert und sind am nächsten Morgen nahezu spielunfähig auf den Platz gestolpert, haben gemeinsam auf unseren Hochzeiten getanzt, zur Geburt von Kindern gratuliert und miteinander geweint, wenn Leben und Tod viel zu nah beieinander lagen.

Von Fußball-Telefonketten und ausgedruckten Spielplänen

Im analogen Zeitalter Mitte der 90er haben wir uns damals mit Telefonketten über Anstoßzeiten auf dem Laufenden gehalten, es gab Briefe mit Packlisten zur Mannschaftsfahrt. Adresslisten. Einen ausgedruckten Spielplan. Und die Hoffnung, dass die Tabelle irgendwann im Laufe der Woche einmal in der Tageszeitung stehen würde.

Seit einigen Jahren sprechen wir auch nicht nur von Digitalisierung, sondern wir haben auch einen Kunstrasenplatz. Im Sommer heizt die Sonne das Granulat auf dem Platz unbarmherzig auf und die Luft flirrt. Statt Schlackeresten schleppen wir nun nach jeder Trainingseinheit und jedem Spiel dutzende von schwarzen Granulatkörnern mit nach Hause. Auf’m Platz ist Zuhause.

Fussball.de, KickTipp, DFB-net und Co.

Heute sind wir eine altersmäßig bunt gemischte Truppe von siebzehn bis fünfzig Jahren. Wir haben mit der Mannschaft eine WhatsApp-Gruppe, der Trainer besteht auf Nutzung der App SpielerPlus, wir doodeln unsere Termine für die Mannschaftsfahrt, unter fussball.de verfolgen wir unseren Spielplan, haben eine gemeinsame KickTipp-Runde zur Bundesliga und seit Anfang diesen Jahres besitzt auch jede von uns eine unterschriebene DSGVO-Vereinbarung mit dem Verein samt DFB-Net Online-Spielerprofil. Die ramponierte Mappe mit unseren grünen gestempelten Pässen hat inzwischen so gut wie ausgedient. Irgendwie unromantisch. So richtig Liebe wird‘s halt erst wieder auf‘m Platz.

Dieser Text erschien bereits in ZEITSPIEL – Magazin für Fußballkultur #14/2019.

Schaut doch mal auf der Website des Magazins vorbei. Die beiden Gründer Hardy Grüne und Frank Wittig schaffen mit jeder Ausgabe des ZEITSPIEL Magazins ein ganz hervorragendes Plädoyer für den Mannschaftssport Fußball 🙂


Füge einen Kommentar hinzu

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert